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Wie stehen Government Procurement Agreement (GPA) und die umweltfreundliche Beschaffung zueinander?

Datum 25.02.2016

Marc Steiner, Richter am schweizerischen Bundesverwaltungsgericht, ist anerkannter Fachmann für den internationalen Bereich der nachhaltigen öffentlichen Beschaffung. In einem Artikel geht er auf die Berührungspunkte umweltfreundlicher Beschaffung und des GPA ein.

Die Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung ist auf nationaler und auf Ebene der EU in Sachen nachhaltiger Beschaffung engagiert. Aber selbstverständlich ist auch außerhalb des Kontinents die Einbindung von Nachhaltigkeitskriterien in die öffentliche Beschaffung ein Thema. Über den Tellerrand hinaus schauen und hinter die Kulissen des weltweiten Handels blicken, ist aufgrund der Globalisierung und des damit verbundenen weltweiten Handels unerlässlich. Dabei wird unweigerlich der Fokus auf die World Trade Organisation (WTO) gerichtet. Diese hat zur öffentlichen Beschaffung mit dem Government Procurement Agreement ein Regelwerk erstellt, dessen Bedeutung immer mehr zunimmt. Dabei stellte sich uns die Frage: Ob und wenn ja, wie das Regelwerk die nachhaltige Beschaffung aufgreift. Hierzu hat Marc Steiner einen Artikel veröffentlicht, der Licht ins Dunkel bringt.

Der englischsprachige Originalartikel ist auf der Webseite des International Centre for Trade and Sustainable Development zu finden. Um den Leserkreis zu vergrößern, hat die Kompetenzstelle für Nachhaltige Beschaffung den Artikel durch den Sprachendienst des BMI übersetzen lassen. Mit Hilfe von Herrn Steiner finden Sie folgend die Erstveröffentlichung auf Deutsch. Nochmals vielen Dank  an Herrn Steiner für die fachliche Unterstützung dabei.

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Das WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen: Eine Einschätzung des Spielraums für die umweltfreundliche Beschaffung

1. Dezember 2015
Marc Steiner

Was kann aus europäischer Perspektive zum revidierten GPA und dem einschlägigen Arbeitsprogramm im Hinblick auf die umweltfreundliche Beschaffung durch die öffentliche Hand (Green Public Procurement) gesagt werden?  

Das überarbeitete WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (Government Procurement Agreement, GPA) deckt Beschaffungen von Waren, Dienstleistungen und Baudienstleistungen seitens der öffentlichen in Hand in einem geschätzten Wert von 1.7 Billionen US-Dollar ab. Politische Vorgaben, welche zur Bevorzugung nationaler Anbieter führen ("buy national-policies"), stellen aus der Sicht des Regelungsziels des GPA die größte Bedrohung dar, da sich solche Vorgaben als Handelshemmnisse auswirken, die möglicherweise die Rechte ausländischer Anbieter einschränken, Angebote für Verträge abzugeben, die für sie interessant sind.Solche Bedenken wurden aus verständlichen Gründen insbesondere nach der Weltwirtschaftskrise der Jahre 2007/8 geäußert, auch vom damaligen Generaldirektor der WTO, Pascal Lamy, in seinem Bericht für das Jahr 2009 (WT/TPR/OV/12). Aus Sicht der WTO erfordert die zunehmende Bedeutung öffentlicher Ausgaben, insbesondere für die Wirtschaft von Schwellenländern, eine Vertiefung und Ausdehnung der Regeln zum internationalen Handel. Nur so kann sichergestellt werden, dass Investitionen in die öffentliche Infrastruktur und andere öffentliche Auftragsvergaben transparent und diskriminierungsfrei erfolgen. Dadurch wiederum wird gewährleistet, dass bei Ausgaben sowohl aus der Sicht der öffentlichen Hand wie auch aus derjenigen der Steuerzahler ein wirtschaftlicher Mitteleinsatz ("best value for money") erreicht wird.

Die Bedeutung des GPA

Das GPA aus dem Jahr 1994 galt aus der Optik mancher Beobachter zunächst als recht obskures plurilaterales Abkommen. Indessen wird die Ausdehnung der Mitgliedschaft auch auf Schwellenländer wie China, das einen Antrag auf Beitritt gestellt hat, mehr denn je als strategisches Ziel gesehen. In den letzten beiden Jahrzehnten ist die Zahl der Mitgliedstaaten ständig gestiegen und steht gegenwärtig bei 45. Gemäß Nicholas Niggli, einem ehemaligen Vorsitzenden des WTO-Ausschusses für das öffentliche Beschaffungswesen, hat das GPA 2012 das Zeug, "zu einem zentralen Stützpfeiler des multilateralen Handelssystems zu werden", und dies nicht nur, weil es über die traditionellen (entwickelten) Mitgliedsländer hinaus weitere interessierte Staaten anziehen kann, sondern auch wegen des im Zuge der GPA-Revision vereinbarten weiteren Anwendungsbereichs. [Ref 1] Im Rahmen der Revision konnten die unter das GPA fallenden Auftragsvergaben um ein Volumen zwischen 80 und 100 Millionen US-Dollar jährlich ausgedehnt werden. Darüber hinaus ist festzustellen, dass das GPA im Laufe der Zeit immer mehr an Bedeutung gewonnen hat, da sich der Aufbau bilateraler oder regionaler Handelsabkommen, soweit das öffentliche Beschaffungswesen behandelt wird, in Text und Struktur am GPA orientiert.

Ziel der Regulierung der Auftragsvergabe und wichtige Begriffe

Mit den Regeln betreffend das öffentliche Beschaffungswesen soll sichergestellt werden, dass die öffentlichen Auftraggeber in transparenter Weise beschreiben, was sie kaufen möchten, bevor sie Güter, Dienstleistungen oder Baudienstleistungen beschaffen. Die wirtschaftliche Verwendung öffentlicher Gelder, die Herstellung von Wettbewerb und die Gleichbehandlung der Bieter sind hier ganz wesentlich. Viele Wirtschaftswissenschaftler und Juristen gehen davon aus, dass "die unsichtbare Hand" des Marktes ein rationales ökonomisches Verhalten privater Unternehmen bei der Organisation ihrer Lieferkette und ihrer Beschaffungen garantiert, während öffentliche Auftraggeber durch Regulierung zu einem vernünftigen wirtschaftlichen Agieren angehalten werden müssen. Bei der Beschreibung eines Produkts sind zwei Begriffe besonders wichtig. Die technischen Spezifikationen definieren die Mindestmerkmale eines Produkts. Wenn die Spezifikationen nicht erfüllt sind, wird das entsprechende Angebot nicht bewertet. Wenn die Spezifikationen erfüllt sind, wird das wirtschaftlich günstigste Angebot bestimmt. Dies geschieht entweder im Sinne der Frage nach dem günstigsten Preis oder der Ermittlung des beste Preis-Leistungs-Verhältnisses anhand mehrerer Zuschlagskriterien. Letzteres bedeutet, dass ein Produkt mit einer höheren Qualität oder mit besseren Gesamtbetriebskosten ausgewählt werden kann, auch wenn die Anschaffungskosten dadurch im Vergleich zu einem Konkurrenzprodukt höher sind.

Horizontale politische Ziele und das ursprüngliche GPA

Es ist nichts Neues, dass die öffentliche Hand ihr Beschaffungswesen als Werkzeug einsetzt, um politische Ziele sozialer oder ökologischer Art zu erreichen. Es ist außerdem bekannt, dass das GPA in den 1990er Jahren regelmäßig als starke Verteidigungswaffe interpretiert wurde, mit der man derartige sekundäre oder horizontale politische Ziele zu vermeiden suchte, da eine gewisse Gefahr besteht, dass diese missbraucht werden können, um Protektionismus zu verschleiern. Aus dieser Sicht geht es beim öffentlichen Beschaffungswesen – etwas vereinfacht gesagt – ausschließlich um Geld und Marktzugang. [Ref 2] Gemäß Sue Arrowsmith und Christopher McCrudden würde, wenn ein so definiertes "Reinheitsgebot" (purity principle) als Zielsetzung des GPA angenommen würde, ein System entstehen, das die Einführung nicht-ökonomischer Kriterien in den Beschaffungsprozess soweit wie möglich reduziert. Dementsprechend wurden in den 1990er Jahren sekundäre oder horizontale politische Ziele als "Regieren durch Beschaffung" (government by procurement) angesehen, was es zu vermeiden galt. [Ref 3]

Aus diesem Blickwinkel wurde die umweltfreundliche öffentliche Beschaffung (Green Public Procurement) mit einer gewissen Skepsis betrachtet. Gleichzeitig wurden indessen auch andere Stimmen laut, wonach eine Verbindung zum Gegenstand des Auftrags leichter herzustellen ist, wenn Umweltmerkmale diskutiert werden, die als Teil der Qualität des Produkts verstanden werden können. In diesem Zusammenhang wurde eine Unterscheidung gemacht zwischen der umweltfreundlichen Beschaffung durch die öffentliche Hand einerseits und der Integration sozialer Aspekte andererseits, wobei die Letztere als weniger naheliegend galt. Gemäß diesem Ansatz können technische Spezifikationen – wie in Artikel VI GPA 1994 ausdrücklich vorausgesetzt – Produktionsprozesse und -methoden der zu kaufenden Produkte (PPMs) umfassen; diese sind also so lange erlaubt, wie sie keine unnötigen Handelshemmnisse bewirken. Aus GPA-Sicht konnte man Aspekten der umweltfreundlichen Beschaffung demnach am leichtesten im Rahmen der technischen Spezifikationen gerecht werden.

Es ist wichtig zu verstehen, dass es einen beträchtlichen Unterschied gibt zwischen dem klassischen regulatorischen Wirtschaftsverwaltungsrecht und dem öffentlichen Beschaffungswesen. Das Regulierungsverhalten staatlicher Stellen, die zum Beispiel ein Importverbot verhängen, führt zu einer Beschränkung des Rahmens, innerhalb dessen der private Verbraucher seine Wahl (consumer choice) treffen kann; demgegenüber geht es beim öffentlichen Beschaffungswesen um das Verhalten der öffentlichen Hand selbst als Konsumentin. Die logische Folge besteht darin, dass dem Staat im Vergleich zu seiner Tätigkeit als Regulator mit Auswirkung auf den Welthandel ein größerer Ermessensspielraum eingeräumt werden muss, wenn die öffentliche Hand selbst als Konsumentin agiert. Daher gilt die normale Argumentationslogik in Bezug auf die Berücksichtigung der Herstellungsprozesse, an die klassische WTO-Spezialistinnen und -spezialisten gewöhnt sind, für das öffentliche Beschaffungswesen im Rahmen der Festlegung der technischen Spezifikationen nicht. Das GPA muss in diesem Zusammenhang als lex specialis betrachtet werden. Es wird allgemein anerkannt, dass eine Behörde erneuerbare Energie verlangen kann, auch wenn die Tatsache, dass die Produktionsmethode hier das entscheidende Merkmal des Produkts ist, die Energie grundsätzlich nicht von Energie aus anderen Quellen unterscheidbar macht.

Dasselbe, also die Zulässigkeit der Frage danach, wie die Energie produziert worden ist, gilt auch für die Zuschlagskriterien, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Jahr 2003 im Fall EVN und Wienstrom GmbH (C-448/01) festgestellt hat. Zudem hat das Gericht erkannt, dass die Umweltaspekte, die berücksichtigt werden können, nicht auf (nicht-ökonomische) Auswirkungen beschränkt sind, die einen Vorteil für die beschaffende Einheit selbst darstellen – wie der Geräuschpegel oder der Stickstoffoxydausstoß von Bussen –, sondern dass auch weitere Aspekte mit positiven globalen Auswirkungen – etwa in Bezug auf das Klima – gleichermaßen berücksichtigt werden können. Schon zuvor, genauer im Jahre 2002, hatte der Europäische Gerichtshof im Fall Concordia Bus Finland (C-513/99) festgestellt, dass sich Vergabekriterien nicht ausschließlich auf "rein ökonomische" Vorteile für die vertragschließende Behörde beziehen müssen (Randnummer 55). Dieses Fallrecht wurde anschließend in Artikel 53 der Richtlinie 2004/18/EG kodifiziert [Ref 4]. Es gibt nun zwei mögliche Haltungen zu dieser Entwicklung. Ein Ansatz besteht in der Auffassung, dass Artikel 53 der Richtlinie 2004/18/EG nicht mit dem GPA 1994 in Einklang steht. Der zweite Ansatz geht von einem Verständniswandel (mindset change) bei der Auslegung des GPA aus, der sich nicht nur innerhalb der EU, sondern auch in der Rechtswissenschaft (weltweit) vollzogen hat.

Die Auslegung von vergaberechtlichen Normen

Das GPA 1994 lässt offen, ob dem billigsten Angebot oder demjenigen Angebot der Zuschlag zu erteilen ist, das anhand der "spezifischen Bewertungskriterien" in den Bekanntmachungen oder den Vergabeunterlagen als das vorteilhafteste beurteilt wird (Artikel XIII:4(b) GPA). Es werden keine Beispiele für geeignete Zuschlagskriterien genannt und es gibt auch keine Äußerung zur Gewichtung dieser Kriterien [Ref 5]. Der neue europäische Ansatz nach Artikel 67 der Richtlinie 2014/24/EU, welche die Europäischen Richtlinie 2004/18/EG ersetzt und nun bald in nationales Recht der EU-Mitgliedstaaten umgesetzt wird, unterscheidet sich davon etwas: Die neue Bestimmung sendet ein Signal, wonach die Kosten nicht nur aus dem Einkaufspreis bestehen, sondern vielmehr die gesamten Betriebskosten vermehrt berücksichtigt werden (total cost of ownership). Je komplexer ein Projekt ist, desto mehr sollte bei der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots das Preis-Leistungs-Verhältnis Vorrang vor der Frage nach dem niedrigsten Preis haben. Somit ist die Regulierungsdichte der EU-Richtlinien höher als diejenige des flexibleren GPA.  

Der Ansatz des GPA weist demnach Merkmale auf, die gegen das Bestehen eines oben skizzierten "Reinheitsgebots" (purity principle) sprechen. Das GPA will mit unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Ansichten kompatibel sein; ein "Reinheitsgebot" wäre eher ein mögliches Merkmal einer umfassenden innerstaatlichen Regelung. Artikel XIII(4) (b) des GPA 1994 über die Zuschlagserteilung sollte darum nicht als negative Aussage zur nachhaltigen Beschaffung durch die öffentliche Hand verstanden werden, sondern vielmehr als ein Rahmen für einen vernünftigen Interessenausgleich zwischen den primären Zielen des Vergaberechts und den Interessen der GPA-Mitglieder daran, in Bereichen wie der Senkung des Kohlendioxidausstoßes nationale oder internationale politische Ziele zu verfolgen.

Das revidierte GPA und die Umwelt 

In Artikel X(6) des revidierten GPA heißt es zu technischen Spezifikationen: „Der Gewissheit halber (= im Interesse der Rechtssicherheit) können Vertragsparteien, einschließlich ihrer beschaffenden Einheiten, im Einklang mit diesem Artikel technische Spezifikationen zur Förderung der Erhaltung ihrer natürlichen Ressourcen oder des Umweltschutzes ausarbeiten, annehmen oder anwenden.“ Aus einer rein rechtlichen Sicht erweist sich diese Regelung – vorausgesetzt die an Peter Kunzlik [Ref 6] angelehnte Auslegung des Artikels VI GPA 1994 kommt zur Anwendung – nach Ansicht einiger Experten nicht unbedingt als innovativ, da das in Artikel I(u) des revidierten GPA verankerte Verständnis, wonach sich Güter auch durch ihre Produktionsmethoden und -prozesse auszeichnen, auf demselben Ansatz wie Artikel VI des GPA von 1994 beruht.

Artikel I(u) und Artikel X(6) des überarbeiteten GPA sind jedoch im Hinblick auf das politische Signal, das sie senden, durchaus spektakulär. Die ausdrückliche Anerkennung, dass die Berücksichtigung ökologischer Gesichtspunkte auch betreffend den Herstellungsprozess bei der Ausarbeitung technischer Spezifikationen mit dem GPA vereinbar ist, geht, um es mit der von Arie Reich in einem anderen Zusammenhang verwendeten Formulierung auszudrücken, über die übliche Argumentationslogik von WTO-Recht ("standard international-trade rationale") hinaus. [Ref 7] Wenn das stimmt, dann ist der explizite Verweis auf die Umwelt wahrscheinlich auch bei der Auslegung anderer Bestimmungen des revidierten GPA von Relevanz. Dies ist namentlich wertvoll, wenn es darum geht, die Regeln des überarbeiteten GPA betreffend die Zuschlagskriterien zu analysieren. Was die Frage betrifft, ob das billigste Angebot oder dasjenige mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis den Zuschlag erhält, ist das revidierte GPA – wie sich aus dem Artikel XV(5) ergibt – genauso flexibel wie das GPA 1994. Im Gegensatz zu den neuen EU-Vergaberichtlinien wird hier folglich nicht das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bevorzugt. Jedoch hindert das GPA als Mindeststandard einen Vertragsstaat auch nicht daran, einer solchen Präferenz Ausdruck zu verleihen.

Zudem spielt, soweit Artikel XV(5) des revidierten GPA für die Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der Festlegung von Zuschlagskriterien relevant ist, jedenfalls auch der Artikel X(9) betreffend die Vergabeunterlagen (tender documentation) eine bedeutende Rolle. Dieser Bestimmung zufolge können die in der Ausschreibung oder den Vergabeunterlagen festgelegten Bewertungskriterien unter anderem den Preis und andere Kostenfaktoren, die Qualität, den technischen Nutzen, Umweltmerkmale und die Lieferbedingungen umfassen. Da Umweltaspekte in Artikel XIII(4)(b) GPA 1994 keine Erwähnung fanden, und auch angesichts des neuen Textes zu den technischen Spezifikationen kann nun nicht mehr argumentiert werden, dass während der Herstellung oder des Konsums eines Produkts entstehende CO2-Emissionen im Rahmen der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots nicht berücksichtigt werden können, da sie keinen direkten Vorteil für die beschaffende Auftraggeberin, sondern einen (irrelevanten) Vorteil für die gesamte Gesellschaft mit sich bringen. In Anbetracht der Tatsache, dass anspruchsvolle technische Spezifikationen eine bedeutendere Auswirkung auf den Wettbewerb zwischen Bietern haben als Zuschlagskriterien, mit denen die Qualität eines Produkts bewertet werden kann, die aber durch einen niedrigeren Preis aufgewogen werden können, sollte das Konzept des im Hinblick auf technische Spezifikationen relativ flexiblen GPA bei der Erörterung der Zuschlagskriterien nicht zu eng ausgelegt werden. Umweltaspekte werden nun ausdrücklich anerkannt.

Das GPA-Arbeitsprogramm "Sustainable Public Procurement" und die EU-Richtlinien zum öffentlichen Beschaffungswesen

In den Schlussbestimmungen – genauer in Artikel XXII(8) – sieht das revidierte GPA die Verabschiedung von Arbeitsprogrammen vor, um seine Umsetzung und weitere Verhandlungen zu erleichtern. Es ist keine Überraschung, dass die nachhaltige Beschaffung durch die öffentliche Hand einen der Aspekte darstellt, die in diesem Zusammenhang weiterverfolgt werden müssen. Der WTO-Ausschuss für das öffentliche Beschaffungswesen hat unter anderem entschieden, einen Bericht zu erstellen über "best practices" im Bereich der nachhaltigen Beschaffung, die in Einklang mit dem Prinzip "best value for money" und den internationalen Handelsverpflichtungen der Parteien stehen. [Ref 8] In der Zwischenzeit hat die EU in Bezug auf die horizontalen politischen Ziele neue Formulierungen eingeführt und spricht nicht mehr wie vor 15 Jahren von „sekundären politischen Zielen“, sondern vom „strategischen Einsatz des öffentlichen Beschaffungswesens“, was deutlich positiver klingt [Ref 9]. Ein hochrangiger Kommissionsbeamter stellte im Mai 2013 fest, dass die umweltfreundliche Beschaffung durch die öffentliche Hand im Rahmen der Gesetzgebungsarbeiten mit Blick auf die Richtlinie 2014/24/EU [Ref 10] kaum mehr ein Thema sei – dies war beim Entwurf der Richtlinie 2004/18/EG noch ganz anders gewesen –, während sich die Berücksichtigung sozialer Aspekte im öffentlichen Beschaffungswesen als ein äußerst heikles Thema erwiesen habe. Die öffentliche Auftragsvergabe spielt im Rahmen der Strategie Europa 2020 eine zentrale Rolle als eines der marktwirtschaftlichen Instrumente, die zur Erzielung eines intelligenten, nachhaltigen und integrativen Wachstums bei gleichzeitiger Gewährleistung eines möglichst effizienten Einsatzes öffentlicher Gelder genutzt werden sollen. So gesehen hat das öffentliche Beschaffungswesen das Potenzial, sowohl die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft als Lieferanten zu fördern, indem es Innovationen im Bereich der umweltfreundlichen Technologien anregt, als auch das Verbraucherverhalten auf der Nachfrageseite zu beeinflussen, indem die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangeht.

Kohärenz in Bezug auf den rechtlichen Rahmen wie auch die relevanten Politiken sowohl auf EU-Ebene als auch in den Mitgliedstaaten, aber auch ein gesteigertes Bewusstsein der staatlichen Akteure ist unabdingbar, wenn das Supply Chain Management von Unternehmen, insbesondere im Sinne von Corporate Social Responsibility und der Wahrnehmung bzw. Vermeidung von Reputationsrisiken, sowie das Verbraucherverhalten im Allgemeinen beeinflusst werden sollen. Da der Umweltschutz eine primärrechtliche Zielsetzung der EU ist, sollte der entsprechende strategische Einsatz des öffentlichen Beschaffungswesens auf Ebene des Sekundärrechts keine Überraschung darstellen. Externe Umweltkosten ("externalities") wurden daher bei der Neuausrichtung der Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge berücksichtigt. In Artikel 68 Abs. 1 Bst. b der Richtlinie 2014/24/EU zur Lebenszykluskostenrechnung ist ein neues Konzept verankert. Dort heißt es, dass es sich bei den entsprechenden Kosten auch um Kosten handeln kann, "die durch die externen Effekte der Umweltbelastung entstehen, die mit der Ware, der Dienstleistung oder der Bauleistung während ihres Lebenszyklus in Verbindung stehen, sofern ihr Geldwert bestimmt und geprüft werden kann."


Die Erfahrungen aus der Vergangenheit deuten darauf hin, dass die Erarbeitung (bzw. Revision) und Umsetzung der EU-Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge von signifikanter Bedeutung für die Auslegung des GPA sein können. Es ist daher eine mehr oder weniger begründete Vermutung, dass der politische Spielraum, der zur Förderung der umweltfreundlichen Beschaffung durch die öffentliche Hand eröffnet wird, zunimmt. Dies ist auf ein neues Verständnis des GPA und des öffentlichen Beschaffungswesens im Allgemeinen zurückzuführen. Die wichtige Aufgabe besteht nun darin, ein Gleichgewicht zwischen den traditionellen Zielsetzungen der Regulierung von WTO und der EU betreffend das öffentliche Beschaffungswesen und dem strategischen Einsatz der öffentlichen Auftragsvergabe herzustellen. Nun, da sich die traditionelle Sichtweise bis zu einem gewissen Grad öffnet mit Blick auf eine kohärentere Rechtsordnung, im Rahmen welcher horizontale politische Ziele wie Umweltschutz Berücksichtigung finden, verändert sich die Regulierungszielsetzung in Bezug auf das öffentliche Beschaffungswesen. Dies wird auch dadurch deutlich, dass Themen wie Korruptionsbekämpfung und Vermeidung von Interessenkonflikten bei der Neuverhandlung des GPA in das Regelungskonzept integriert worden sind.

Marc Steiner. Richter, Abteilung II des schweizerischen Bundesverwaltungsgerichts

 

[Ref 1] Zur GPA-Revision siehe Sue Arrowsmith/Robert D. Anderson (Hrsg.), The WTO regime on government procurement: challenge and reform. Cambridge 2011
 
[Ref 2] Hans-Joachim Prieß/Christian Pitschas, Secondary Policy Criteria and Their Compatibility with EC and WTO Procurement Law – The Case of the German Scientology Declaration, in: Public Procurement Law Review 2000, S. 171 ff.
 
[Ref 3] Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass weder Arrowsmith noch McCrudden Verfechter eines derartigen "Reinheitsgebots" sind (siehe Sue Arrowsmith, Government Procurement in the WTO,  Den Haag/London/New York 2003, insb. S. 331 f.).
 
[Ref 4] Zu horizontalen Strategien in der Europäischen Union im Allgemeinen siehe Sue Arrowsmith/Peter Kunzlik. Social and environmental policies in EC procurement law: new directives and new directions, Cambridge 2009
 
[Ref 5] Peter Trepte, The Agreement on Government Procurement, in: Macrory/Appleton/Plummer (Hrsg.), The World Trade Organization: Legal, Economic and Political Analysis, Volume I, New York 2005, S. 1123 ff., vor allem S. 1148
 
[Ref 6] Peter Kunzlik, International procurement regimes and the scope for the inclusion of environmental factors in public procurement, in: OECD (Hrsg.), The Environmental Performance of Public Procurement, Paris 2003, S. 157 ff.
 
[Ref 7] Zur Revision des GPA im Allgemeinen siehe Arie Reich, The new text of the agreement on government procurement: An analysis and assessment, in: Journal of International Economic Law 12/2009: S. 989 ff.
 
[Ref 8] Entscheidung des Ausschusses für das öffentliche Beschaffungswesen vom 30. März 2012 über ein Arbeitsprogramm (work programme) für nachhaltige Beschaffung (Anhang E zum revidierten GPA).
 
[Ref 9] Zum neuen Konzept siehe beispielsweise Gustavo Piga/Tünde Tatrai (Hrsg.), Public Procurement Policy, London/New York 2015, Part IV "Green public procurement", S. 161 ff.
 
[Ref 10] Peter Kunzlik, From suspect practice to market-based instrument: Policy alignment and the evolution of EU Law’s approach to ‘green’ public procurement, in: Public Procurement Law Review 2013, S. 97 ff.

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Zu Marc Steiner

Rechtsanwalt Marc Steiner amtet seit Januar 2007 als Richter am schweizerischen Bundesverwaltungsgericht. Zwecks Vertiefung der europarechtlichen Kenntnisse hat er zwei Praktika am Gerichtshof der Europäischen Union absolviert.Er publiziert zu beschaffungsrechtlichen Fragen und ist namentlich Koautor der "Praxis des öffentlichen Beschaffungsrechts" (3. Auflage, Zürich 2013).Im Rahmen der Anhörung des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments zum Thema "Modernisierung der öffentlichen Auftragsvergabe" vom 24. Mai 2011 ist Marc Steiner als Experte beigezogen worden. Im Auftrag des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP), wo man sich unter dem Stichwort "Sustainable Public Procurement (SPP)" um die weltweite Verbreitung der nachhaltigen Beschaffung bemüht, hat er mit Blick auf Rio +20 die Anleitung zur Strukturierung der entsprechenden Rechtsgutachten für die Pilotländer bearbeitet (Sustainable Public Procurement Implementation Guidelines, "Legal Review", 2012).Im September 2015 wurde Marc Steiner als Referent zum Government Procurement Agreement Symposium der WTO in Genf eingeladen. Die Webseite von Marc Steiner zur nachhaltigen Beschaffung in der Schweiz finden Sie unter www.nachhaltige-beschaffung.ch.